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08.06.00
10:17 Uhr
CDU

Martin Kayenburg: Europadiskussion erzwingt Föderalismusdebatte

LANDTAGSFRAKTION S C H L ES WI G - H O LS T EI N

Pressesprecher Bernd Sanders Landeshaus 24100 Kiel Telefon 0431-988-1440 Telefax 0431-988-1444 Internet: http://www.landsh.de/cdu-fraktion/ e-mail:fraktion@cdu.landsh.de
PRESSEMITTEILUNG Nr. 171/00 vom 8. Juni 2000
TOP 15 Martin Kayenburg: Europadiskussion erzwingt Föderalismusdebatte Wenn wir ein geeintes Europa wollen, wenn wir die europäische Zukunft gestalten wollen, wenn Deutschland in einem größeren Europa bestehen will und wenn Deutschland es mit seiner Erneuerung, d. h. auch mit einer Neuordnung der Kompetenzzuordnung und mit der Subsidiarität ernst meint, dann müssen wir die Föderalismusdebatte neu führen. Wir müssen - verzeihen Sie mir dieses harte Wort - den seit Jahren degenerierenden Föderalismus erneuern.
Ich bin dankbar, dass uns die Europadiskussion diese Föderalismusdebatte geradezu aufzwingt. Das gibt uns die Chance, die ungleichgewichtige, spezielle, einseitige deutsche Debatte zu überwinden, die sich vorrangig mit Finanzausgleich und Finanzreform nicht aber mit Kompetenzzuordnung und Gemeinwohlorientierung befasst.
In Zukunft ist die Kompetenzverteilung auf die Länder und vielleicht auch die Stärkung der Regionen - bei vermehrter Beachtung des Subsidiaritätsprinzips - Voraussetzung dafür, dass der Bürger sich mit seinem Lebensumfeld in einem geeinten Europa identifizieren wird. Nur so wird es gelingen, die Gemeinwohlorientierung der Länder und der Bürger in einem immer schnelleren weltweiten Wettbewerb zu stärken.
Die Verkürzung der deutschen Föderalismusdebatte auf den Finanzausgleich ist also der eine Grund für unseren Antrag. Ein zweiter Grund ist für mich aber noch viel wichtiger, und der hat etwas mit unserem Selbstverständnis als Parlament zu tun; deswegen eignet sich diese Debatte m. E. auch nicht so sehr für den politischen Streit, sondern zur - auch kontroversen - Diskussion, an deren Ende die Einigung (vielleicht sogar eine neue Einigungskultur) stehen sollte, die sich dann auch auf andere Politikfelder übertragen ließe.
Wir dürfen die Föderalismusdebatte nicht den Regierungen allein überlassen! Es geht eben nicht nur um Administration und Ausgleiche zwischen den Ländern, es geht vielmehr auch um unsere parlamentarische Funktion. Es geht darum, wie wir künftig in unseren Ländern, in den politischen Einheiten und in den Regionen unsere Aufgaben wahrnehmen wollen und können. Es liegt in unserer Verantwortung, unsere Kompetenzen wirksam zu vertreten, Kompetenzabgrenzungen und -übertragungen zu definieren und auch durchzusetzen.
Derzeit laufen wir Gefahr, diese wichtigste Aufgabe der Parlamente den die Regierungen allein zu überlassen. Wenn wir dies nicht ändern, können wir gestalterisch nicht wirksam eingreifen, sondern nur noch Ergebnisse nachträglich „abnicken“, die - wie bei Staatsverträgen häufig - ohne unsere Beteiligung ausgehandelt wurden. Dies entspricht zumindest nicht meinem Parlamentsverständnis.
Wir leben in dem Risiko, uns in eine ähnliche Position hineinzumanövrieren, in der das europäische Parlament heute noch steht. Eine übermächtige Kommission, Politikgestaltung - nicht etwa nur deren Vollzug - durch die Administration und ein europäisches Parlament, das zwischen der Kompetenz der Nationalstaaten einerseits und der Allmacht der Kommission andererseits mühsam seine eigene Kompetenz zu definieren sucht. In eine ähnliche Lage sollten wir uns nicht durch Untätigkeit hineinmanövrieren, und dies würde auch nicht unserem Verfassungsauftrag entsprechen. Es muss deshalb für uns selbstverständlich, ja unverzichtbar sein, dass wir uns verstärkt in die Föderalismusdebatte einbringen.
Um diese Aufgabe sachgerecht wahrnehmen zu können, müssen wir uns natürlich auch mit den Auffassungen der Landesregierungen auseinandersetzen, die hier pflichtgemäß und verantwortungsbewusst schon tätig geworden sind. Das wollen wir mit unserem Antrag vorbereiten.
Besonders dankbar bin ich aber darüber, dass sich die Parlamentspräsidenten ebenfalls mit diesem Thema befasst haben, um der Föderalismusdebatte neue Impulse zu geben.
Die Hemmnisse sind unübersehbar, die von unserem korporativen Gesellschaftsmodell sowohl in unserer nationalstaatlichen Situation als auch bei der europäischen Debatte ausgehen. Das deutsche Wort „Reformstau“ ist nicht von ungefähr zum Lehnwort in anderen Sprachen geworden.
Die Reaktionszeit der Politik auf gesellschaftliche und die europäischen Entwicklungen ist zu langsam. Komplizierte und überregulierte Entscheidungsprozesse kennzeichnen unser politisches Handeln. Das gilt insbesondere in Deutschland. Entscheidungen werden aufgeschoben oder gar nicht getroffen. Wir, die gewählten Volksvertreter, werden damit dem durch die Wähler erteilten Auftrag nicht mehr gerecht auf ökonomische, ökologische und soziale Veränderungen in angemessener Zeit zu reagieren. Wir haben oft nicht den Mut, das komplizierte Dickicht von Interessen und Besitzständen wirksam zu beschneiden. Dies haben die Väter und Mütter unseres Grundgesetzes nicht vorausgesehen und auch nicht gewollt, als sie den Föderalismus zum Grundprinzip unseres Staatswesens definierten. Der föderale Grundgedanke geht davon aus, dass der Gesamtstaat für die Dinge zuständig ist, die im Interesse des Volkes
einheitlich geordnet werden müssen. Die übrigen Angelegenheiten regeln die Gliedstaaten. Entsprechend dieser Grundidee spricht Artikel 70 Grundgesetz den Ländern die grundsätzliche Gesetzgebungskompetenz zu, so weit das Grundgesetz nicht dem Bund ausdrücklich die Gesetzgebungskompetenz verleiht. Um diese Kompetenz geht es im Kern in der heutigen Föderalismusdebatte.
Die in Artikel 72 geregelte konkurrierende Gesetzgebung wurde von den Mitgliedern des Parlamentarischen Rates vor 50 Jahren als die Ausnahme angesehen. Man nahm damals an, dass höchstens 10 Prozent der Gesetze, die der Bund erlassen würde, zustimmungspflichtig sein würden. Dies war eine grobe Fehleinschätzung. Schon in der ersten Wahlperiode von 1949 bis 1953 betrug der Anteil der zustimmungspflichtigen Gesetze 40 Prozent. Heute sind um die 60 Prozent aller Gesetze zustimmungspflichtig durch den Bundesrat als Vertretung der Länder.
Verantwortlich für diese Entwicklung war sicherlich auch der Artikel 72 des GG und zwar Abs. 2 alter Fassung. Dort war die „Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse über das Gebiet eines Landes hinaus“ festgeschrieben. Bei der Revision des Grundgesetzes nach dem Beitritt der neuen Länder hat der Bundesgesetzgeber diese Formulierung in „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“ abgeändert. Aber das Streben nach „Einheitlichkeit“ in fast allen Lebensbereichen hat sich fest in unserem Denken verankert. Die Tendenz zu bundesweit einheitlichen Regelungen von Sachverhalten war und ist die Regel. Dieses unitaristische Denken erschwert eine ergebnisoffene, zukunftsgerecht Föderalismusdebatte.
Bundestag und Bundesrat sind aufgrund dieser Entwicklung häufig gefordert, gemeinsam zu Lösungen zu kommen. Zumeist wird gegenseitige Abhängigkeit gerade von den Ländern sehr verantwortungsvoll im Sinne der Intention der Väter und Mütter des Grundgesetzes genutzt. Deren Ideal war der dienende Staat, der für die Menschen da ist.
Diesen Weg verließen die SPD-regierten Länder zwischen 1996 und 1998, als sie mit ihrer Mehrheit im Bundesrat unter der Führung von Oskar Lafontaine eine totale Blockadepolitik als Mittel zur Erreichung von Macht einschlugen. Sie, Frau Simonis, sind diesen Weg bewusst mitgegangen. Die von der damaligen CDU/F.D.P.- Bundesregierung geplanten Reformen, insbesondere die so wichtige Steuerreform konnten deshalb nicht durchgeführt werden. Verlorene Jahre für unser Land!
Aber es muss auch nicht alles auf Bundesebene geregelt werden. Diese Unsitte muss bekämpft werden. Statt dessen brauchen wir mehr Wettbewerb zwischen den Ländern auf allen nur möglichen Gebieten. Und wir sind gefordert, auf dieser Grundlage die Bereiche, die keiner bundeseinheitlichen Regelung bedürfen, neu zu definieren. Wir schaffen damit klare Kompetenzen, und diese wiederum schaffen Transparenz; sie sind Grundbedingung für einen fairen Wettbewerb, der die Einheit des Ganzen nicht gefährdet.
Im Hinblick auf die EU fordern wir stets Subsidiarität ein, vor allem wir, die Länder. Dies muss auch unsere grundsätzliche Einstellung gegenüber dem Bund sein. Das hat machtverteilende Wirkung, wie sie der Föderalismus will. Wir Länder müssen Kom-
petenzen und Eigenverantwortung zurückgewinnen. Nur dann haben wir auch eine Chance, gegen das Regeldickicht europäischer und deutscher Gesetze, Verordnungen und Richtlinien anzugehen. Dieses wird in Zukunft immer wichtiger werden; denn schon jetzt beschäftigt sich der Bundesrat mit mehr Vorlagen aus Brüssel als aus Berlin.
Es kommt also darauf an, unsere föderale Ordnung, die ja der geschichtlichen Erfahrung unserer Nation entspricht, die ihre Identifikation bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts nicht im Staat sondern in der gemeinsamen Sprache und Kultur fand, zu erhalten. Wir als Länder haben in den vergangenen 50 Jahren durch unser Verhalten selbst dazu beigetragen, dass wir heute einen kooperativen Föderalismus haben. Er macht die Zentralgewalt, den Bund, stark und schränkt die Eigenverantwortlichkeit der Länder unangemessen ein.
Der Erhalt einer starken föderalen Struktur muss aber auch im Interesse der anderen Länder der EU liegen. Wir sind der bevölkerungsreichste Mitgliedsstaat. Eine zu starke deutsche Zentralmacht könnte das Gleichgewicht in Europa massiv stören, alte Ressentiments fördern, die Europäische Union, auch ein Garant für den Frieden, gefährden.
Eine zu starke Zentralisierung müssen wir aber auch auf EU-Ebene ablehnen. Dafür brauchen wir, wie schon gesagt, starke Länder. Für diese sind wir durch Reform des deutschen Föderalismus selbst verantwortlich.
Wir müssen aber auch auf den Gebieten, wo wir jetzt schon alleinige Gestaltungsspielräume haben, diese auch wahrnehmen und nicht durch überzogene Angleichung uns dieser Kompetenzen selbst begeben wie in der Vergangenheit. Dies gilt z. B. für die Bildungspolitik und für den Bereich der inneren Sicherheit. Freiwillige Koordinierung kann sinnvoll, muss aber nicht die Regel sein.
Die Rahmengesetzgebung des Bundes darf sich zukünftig nur auf unverzichtbare Elemente beschränken. Alle Detailregelungen gehören in die Gesetzgebungskompetenz der Länder.
Auch die konkurrierende Gesetzgebung muss wieder stärker Ländersache werden. Der im Grundgesetz genannte Katalog muss unter dem Aspekt Subsidiarität durchforstet werden. Regelungen, die unter den Gegebenheiten des Jahres 1949 sinnvoll waren, müssen es heute nicht mehr sein.
Insbesondere muss die Mischfinanzierung zwischen Bund und Ländern überprüft werden. Sie wurde in der Vergangenheit immer mehr ausgeweitet. Die Versuche einer Revision sind in den 80er Jahren fehlgeschlagen. Es waren die Länder, die sowohl eine feste Verankerung der Mischfinanzierung in das Grundgesetz 1968 forderten als auch in den 80er Jahren das Vorhaben des Bundes, die Mischfinanzierung zurückzuführen, verhinderten. Wir müssen uns endlich ernsthaft fragen, ob diese Mischfinanzierungen wirklich in unserem Interesse sind, ob es nicht besser wäre, diese Mischfinanzierungen abzubauen. Die bisherigen Bundesanteile an der Mischfinanzierung könnten z.B. in vollem Umfang dauerhaft und dynamisiert den Ländern zugewiesen werden. Wir hät-
ten dann die alleinige Verantwortung für die Verwendung der Mittel. Das würde einen Wettbewerb um den effektiven Einsatz der Mittel fördern und die Transparenz der Mittelverwendung für unsere Bürger stiege. Wir müssen uns auch die Frage nach einer eigenen Steuerautonomie stellen. Warum sollten wir als Land nicht zumindest für die Steuern, deren Einnahmen allein uns bzw. unseren Kommunen zustehen, auch die Gesetzgebungskompetenz wahrnehmen. Das fördert ebenfalls den Wettbewerb. In anderen föderalen Ländern wie der Schweiz oder den USA wird dies erfolgreich gehandhabt.
Der föderalen Struktur wird aber auch eine Überarbeitung des Länderfinanzausgleichs einschließlich der Bundesergänzungszuweisungen förderlich sein. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 11. November 1999 wird dies nun zwingend bis 01.01.2003 bzw. 31.12.2004 notwendig. Auch hier wurden Reformen wieder einmal nicht von uns Politikern auf den Weg gebracht. Eigentlich für uns alle beschämend!
Ein Finanzausgleich zwischen armen und reichen Ländern sollte in einem Bundesstaat stattfinden. Ohne ihn sind gleichwertige Lebensverhältnisse, wie sie das Grundgesetz fordert, nicht zu schaffen. Das starke Gefälle zwischen Ost und West in Deutschland kann nur langfristig überwunden werden. Aber ein Finanzausgleich wird nur akzeptiert, wenn er nicht konfiskatorisch ist und keine Übernivellierung vorgenommen wird.
Der Finanzausgleich muss auch so gestaltet sein, dass er Eigenanstrengungen fördert. Er darf nicht zum Schmarotzertum auf Kosten anderer verleiten. Er ist ein Kernbereich des Föderalismus, aber zu einer Föderalismusrevitalisierung gehört mehr, wie ich dargestellt habe.
Da die Ministerpräsidenten bereits auf ihrer Sitzung Anfang Dezember 1998 beschlossen hatten, eine Kommission einzusetzen, um „die bundesstaatlichen Aufgaben -, Ausgaben- und Einnahmeverteilung einschließlich der bestehenden Regelung der Finanzverfassung und des Finanzausgleichs einer kritischen Überprüfung mit dem Ziel der Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung zu unterziehen“, ist jetzt anderthalb Jahre später ein geeigneter Zeitpunkt, einen Sachstandsbericht einzufordern.
Dabei interessieren uns natürlich besonders die Positionen und die Positionierung Ihrer Regierung, Frau Simonis. Da eine Reform des Föderalismus aber auch die zukünftige Arbeit der Parlamente betrifft, auch des schleswig-holsteinischen, müssen wir rechtzeitig mit eingebunden werden. Deshalb fordern wir den Bericht von Ihnen jetzt ein.