Navigation und Service des Schleswig-Holsteinischen Landtags

Springe direkt zu:

Diese Webseite verwendet ausschließlich für die Funktionen der Website zwingend erforderliche Cookies.

Datenschutzerklärung

Pressefilter

Zurücksetzen
07.06.00
16:02 Uhr
CDU

Jost de Jager: Es geht um die Stärkung der Hauptschule

LANDTAGSFRAKTION S C H L ES WI G - H O LS T EI N

Pressesprecher Bernd Sanders Landeshaus 24100 Kiel Telefon 0431-988-1440 Telefax 0431-988-1444 Internet: http://www.landsh.de/cdu-fraktion/ e-mail:fraktion@cdu.landsh.de
PRESSEMITTEILUNG Nr. 169/00 vom 7. Juni 2000 TOP 13 Jost de Jager: Es geht um die Stärkung der Hauptschule im April dieses Jahres wurden die ersten Ergebnisse einer bundesweiten Schülerbefragung des niedersächsischen Kriminologen Christian Pfeiffer in 8 Großstädten Deutschlands bekannt. Das hinlänglich veröffentlichte Ergebnis: Kiel hatte die bundesweit höchste Rate von unentschuldigt fehlenden Hauptschülern in Höhe von 15,1 %, gefolgt von Hamburg. Die niedrigste Absentismusquote hatte die Stadt München mit 5,9 %.
Die Studie von Herrn Pfeiffer ist zugegebenermaßen nicht unumstritten. Die darin enthaltenen Zahlen werden unter anderem von der Landesregierung bestritten und wir hätten das Pfeiffer-Gutachten allein nicht zum Anlass für einen Berichtsantrag im Schleswig-Holsteinischen Landtag genommen. Jedoch decken sich die Ergebnisse der Pfeifferschen Untersuchung im Frühjahr dieses Jahres mit dem Ergebnis einer davon unabhängig durchgeführten Befragung des Lübecker Schulamtes vom November vergangenen Jahres, die von einer Absentismusrate von 16 % an den Hauptschulen der Hansestadt kommt. Weiter wird darin ausgeführt, dass die Prozentzahlen je nach Jahrgangsstufe schwanken und ihren Höhepunkt von bis zu 20 % in Klasse 7 erreichen, und dass das Gros der unentschuldigt fehlenden Schülerinnen und Schüler ein bis fünf Tage der Schule fernbleibt. Ein weiteres Ergebnis der Lübecker Befragung: Absentismus bzw. unentschuldigtes Fernbleiben vom Unterricht ist im Wesentlichen ein Problem der Schulart Hauptschule sowie – wenn gleich etwas anders gelagert – der Förderschulen.
Auch dies deckt sich mit dem Ergebnis der Pfeifferschen Studie sowie mit Rückmeldungen, die wir als CDU-Fraktion von Schulleitern und Lehrerinnen und Lehrern aus den verschiedensten Teilen des Landes erhalten haben. Die alarmierenden Zahlen für die Hauptschulen in den beiden größten Städten Kiel und Lübeck haben wir zum Anlass genommen für einen Berichtsantrag im Schleswig-Holsteinischen Landtag. Wir können Hinweise darauf, dass bis zu 16 % der Hauptschüler mehr oder minder regelmäßig dem Unterricht unentschuldigt fernbleiben, nicht einfach so zur Kenntnis nehmen.
Es gilt, die Ursachen für etwas zu ermitteln, das offenkundig bei uns schief läuft. Denn eine schulpolitische Variante hat dieses Thema schon. Mit Verlaub, Frau Ministerin, es ist nicht unanständig und es nicht billig, auf die schulpolitischen Verantwortlichkeiten auch bei einem Thema wie Absentismus hinzuweisen. Der Pfeiffer-Studie zufolge gibt es ein Nord-Süd-Gefälle in den Absentismusraten und die Begründung, dieses läge auch daran, dass Hauptschulen in Schleswig-Holstein zum Teil zu Restschulen verkommen wären, stammt auch nicht von mir, sondern von Herrn Pfeiffer.
Und deshalb wollen wir unseren Berichtsantrag auch nicht allein als Auftrag zum Datensammeln verstanden wissen, sondern als Auftakt einer schulpolitischen Diskussion aufgrund eben dieser Daten.
Und ebenso bin ich mir sicher, dass mir im Verlauf dieser Debatte noch entgegengehalten wird, dass wir als Opposition mit viel zu hohen Zahlen operieren würden und die eigentliche Absentismusrate im Lande sehr viel niedriger liegen würde, wie z. B. eine nicht minder umstrittene Untersuchung des Kieler Schulamtes beweisen soll. Denen entgegne ich: Es gibt aber eben auch die anderen Zahlen.
Wichtig ist deshalb, die Daten für diesen Bericht über einen längeren Zeitraum zu erfassen und nicht nur an einem Stichtag, um zu wirklich verlässlichen Aussagen zu kommen.
Eine der Fragen, die uns die Landesregierung beantworten soll, ist die, ob es ein Stadt- Land-Gefälle bei den Absentismusraten an den Schulen gibt. Bislang sind uns Untersuchungen vor allem für die Städte bekannt. Gemeinhin wird in der sozialen Zusammensetzung der Schülerschaft ein solches Stadt-Land-Gefälle angenommen. Ob dieses noch immer zutrifft, wage ich zu bezweifeln. Insofern ist es wichtig für die schulpolitische Diskussion zu wissen, ob die Verhältnisse in städtischen und ländlichen Schulen sich angleichen oder auseinander entwickeln. Es steht allerdings zu vermuten, dass soziale Brennpunkte nicht allein ein städtisches Problem sind.
Wir müssen unterscheiden zwischen gelegentlichen Abwesenheitszeiten und regelmäßigem, dauerhaften Fehlen. Das Thema sind nicht diejenigen, die ab und zu mal eine Stunde blau machen. Sorgen müssen uns diejenigen bereiten, die der Schule auf Dauer verloren zu gehen drohen, weil sie ihr über längere Zeit fern bleiben. Hier ist der Ansatzpunkt, über pädagogische Maßnahmen nachzudenken – und über darüber hinausgehende.
Womit wir bei den Ordnungsmaßnahmen wären. Dieser Berichtsantrag ist zugleich Auslöser für eine zum Teil besonders aggressive Form der Political Correctness gewesen. Und all denjenigen, die jetzt schon das Horror-Szenario ausrückender Hundertschaften von Polizeibeamten an die Wand malen, um Schulschwänzer einzufangen, halte ich entgegen: Herr Innenminister, Sie können sich zurücklehnen.

Ordnungsmaßnahmen müssen ja nicht erst erfunden werden, die gibt es schon. Es stellt sich allerdings die Frage, inwieweit hier in Schleswig-Holstein von diesen Möglichkeiten Gebrauch gemacht wird und welche Wirksamkeit diese Maßnahmen entfalten. Die Antwort darauf findet man nicht in Vorfestlegungen oder mit politischen Vorurteilen, sondern durch eine ehrliche und ergebnisoffene Prüfung.
Zu klären ist, ob Schule und Klassenlehrer nicht mit den Problemen allein gelassen werden. Es gibt unseres Wissens nach keine einheitlichen Reaktionskataloge für anhaltenden Absentismus oder Verhaltensvorschläge der Schulaufsicht. Autonomie ist ja eine gute Sache, schulaufsichtliche Rückenstärkung oder Hilfestellung aber auch.
Dazu gehört auch anzuerkennen, dass das Eindämmen von unentschuldigtem Fernbleiben von der Schule und Prävention durchaus etwas miteinander zu tun haben können, Herr Weber. Ich darf in diesem Zusammenhang auf einen Kommentar der Kieler Nachrichten vom 12.04. dieses Jahres verweisen. Darin heißt es: „Denn massives Schule schwänzen findet sich in fast jedem Lebenslauf jugendlicher Intensivstraftäter wieder. Es ist nach Ansicht von Kriminologen eines der Frühwarnsysteme für kriminelle Karrieren“. Es geht aber darum zu identifizieren, an welchen Punkten Schulsozialarbeit stärker als bisher einsetzen muss.
Wir verstehen unseren Berichtsantrag durchaus als ein Teil unserer Initiative, die Hauptschulen wieder zu stärken. Schulsozialarbeit, Ausweitung von Ganztagsbetreuungsangeboten, die stärkere Zusammenarbeit von Schulen, Schulträgern und Jugendhilfeträgern ist ein wichtiger Punkt dabei. Der Ansatz dieser Arbeit beginnt dort, wo der Verweis auf die Elternhäuser nicht mehr hilft, sondern wo wir zur Kenntnis nehmen müssen, dass die Schule den Erziehungsauftrag ausfüllen muss, den die Elternhäuser zum Teil nicht mehr erfüllen können. Nur wenn man den Schulen diese Aufgabe zuweist, dann muss man sie dazu in die Lage versetzen. Das trifft insbesondere auf die Hauptschulen zu. Es gilt in diesem Zusammenhang auch den Blick dafür zu schärfen, dass irgendeiner im Zusammenspiel von Schule und Jugendhilfe die Initiative in solchen Fällen ergreifen muss um das zu verhindern, was ein Sozialarbeiter mir gegenüber kürzlich als „Kettenreaktion der Gleichgültigkeit in allen Verantwortungsbereichen“ genannt hat.